Der Zug startete verspätet, weil – laut Ansage – der Fahrer nicht anwesend war.
Während der langen Reise konnte die anfänglich verzögerte Zugabfahrt nicht mehr aufgeholt werden, im Gegenteil. Sie potenzierte sich, während ich eingeklemmt am Vierertisch einem smart-kreativ ausschauenden Herren gegenübersaß, der sich mit seiner Tasche dermaßen breit machte, dass ich kaum noch Platz für meine Füße fand. Nachdem er abwechselnd in sein Handy gestarrt und im Internet gesurft hatte, las er endlich in einem Buch mit dem Titel “New rules for management” (oder so ähnlich). Soft Skills hätte ich ihm allerdings auch beibringen können, aber er fragte nicht, blieb stumm wie ein Fisch – sechs Stunden lang, ab und zu telefonierte er und teilte abwechselnd in deutscher und dänischer Sprache irgendwelchen entfernt-globalen Bewohnern oder Bewohnerinnen dieser Galaxie die aktuelle Zugverspätung mit. Zombifizierung – überall!
Dann saß ich 90 Minuten am Hamburger Hauptbahnhof fest. Das Wartehäuschen versprach Schutz vor den Nachtschattengewächsen der Hafenstadt, jedoch war dieser teuer bezahlt : Die dort herrschende stickige Luft war kaum erträglich. Ich vertiefte mich in die Lektüre von “Ein Meister aus Deutschland”, bis endlich der Nachtzug nach Interlaken Erlösung von der elendigen Warterei versprach.
Die Pfadfinder-Mädchen, die mir schon während der vorangegangen Zugfahrt durch ihre Bekleidung, die aus der Zeit gefallen schien, aufgefallen waren, setzten sich in den gleichen, nun endlich vollklimatisierten und relativ leeren Großraumwagen wie ich. Ihre lauten Gespräche über die gruppendynamischen Prozesse während ihrer Schwedenfahrt halfen mir, wach zu bleiben und machten mich neugierig darauf, etwas über die Pfadfinder im Allgemeinen herauszufinden, mit denen ich persönlich bisher nicht mehr verbunden hatte, als das Wissen darum, dass auch Tick, Trick und Track dieser Organisation angehören.
(Heute las ich bei Wikipedia nach, folgte einem Link und stieß auf das Konzept “Der Fahrt“, was quasi danach ruft, in dem zweiten Teil des Artikels “Mythologisch Wandern” integriert zu werden. Demnächst.)
Zwischenzeitlich fror ich im Zug. Die Klimalage war auf “Arktis” eingestellt.
Mitten in der Nacht erreichte ich endlich Hannover.
Der türkischstämmige Taxifahrer hatte im Auto Barockmusik laufen, was mich kurz in einem entspannt-schläfrigen Zustand versetzte, bevor ich die Wohnung betrat und das Chaos erblickte, was meine eigentlich (fast) erwachsenen Söhne in den vergangenen Tagen verursacht hatten. Und so wünsche ich mir nun selbst eine gute Nacht!