Warum mag ich das Figurentheater so viel lieber als “richtiges” Theater? Ein Grund dafür ist es sicherlich, dass ich das erzieherisch tätige und “politisch-korrekte” Regietheater verabscheue, jedoch greift dies nicht weit genug. Ich vermeide nun die Aufführungen des modernen Schauspiels , zu groß erscheint mir die Gefahr dort auf hysterisch kreischende Schauspieler (gerne halbnackt) vor merkwürdigsten Kulissen zu treffen. Der Höhepunkt meiner schlechten Erfahrungen war einmal eine Aufführung, in der die Hauptfigur in mehrere Teilpersonen gespalten wurde, was ich aber erst gegen Ende der Vorführung durchschaute. Ohne Programmheft funktioniert so ein Theaterbesuch, der eher ertragen werden muss, nicht.
Wie viel schöner ist da das Figurentheater! Dort kann man sich, jenseits der Kindervorführungen, dann auch die Klassiker, die vor liebevoll gestalteten Kulissen agieren, anschauen und solche Vorführungen sogar genießen..
Der gestrige Besuch beim Gastspiel des Hohenlohner Figurentheaters im hannoverschen Figurentheaterhaus verzauberte jedenfalls meinen Samstagabend. Es gab “Jedermann” von Hoffmannsthal im Figurentheaterhaus zu sehen.
In Hannover sind wir in der glücklichen Lage ein festes Haus für das Figurentheater zu haben. Leider gibt es dort nur wenige Aufführungen für Erwachsene, was wohl daran liegen mag, dass es sich noch nicht herumgesprochen hat, wie zauberhaft solche Darbietungen sind und diese Kunstform immer noch als erzieherisches “Kasperletheater” verschrien ist.
Selbst die Kindervorführungen haben jedoch überhaupt nichts mehr mit den immer noch lebendigen Klischees des Verkehrs-Kaspers zu tun. Ein Besuch lohnt sich mitunter auch für Erwachsene.
Ich selbst liebe das Figurentheater. Die Starrheit der Figuren eröffnet mir als Zuschauerin vielfältige Interpretationsspielräume. Dadurch ist das Figurentheater näher beim rituell-magischen Ursprung des Theaters geblieben, als es das Menschentheater in der aktuell-regenerierten Form darstellt.
Was braucht es Schauspieler, wenn Puppen als Symbol für das menschliche Leben agieren können? Sie sind eine Allegorie und wir können uns mit ihnen identifizieren, kommt es uns nicht auch häufig so vor, als ob wir von anderen fremdbestimmt werden und so quasi “gespielt” werden?
Der Puppenspieler agiert gottleich und erschafft mit wenigen Mitteln eine perfekte Illusion einer alternativen Wirklichkeit, die gerade deshalb so gut funktioniert, weil sie die Imaginationskraft des Publikums anspricht und bestenfalls in Zusammenarbeit von Spielern und Zuschauern pure Magie erschafft, die einen neuen phantastischen Raum öffnet, der sich jeder Planung entzieht. Auf diese Art und Weise ist das Figurentheater den reißerischen Effekten der medialen Industrie, die wir gewohnt sind, die jedoch nur eine kurze Befriedigung erschafft, haushoch überlegen.
Pupen sind nämlich Zauberwesen, die schon in den Megalithkulturen genutzt wurden, um göttliche Energien zu manifestieren oder den magischen Willen der Hexe zu transportieren.
Dieses Erfahrungswissen scheint fest in unserem kollektiven Unterbewusstsein verankert zu sein und wird beim Puppentheater berührt, das uns sogar, auf eine subtile Art und Weise, erschaudern lässt.
Lange ist es her, dass ich mal ein diesbezügliches Seminar im Figurentheater Kolleg in Bochum besuchte und auch dort übernachtete. Unvergesslich wird mir ein Schrank voller Puppen sein, die im spärlichen Licht der Nachtbeleuchtung ein Eigenleben zu führen begannen. Sie warteten quasi darauf, zum Leben erweckt zu werden und das Spiel beginnen zu lassen.
Ihre leblose Gestalt wird durch unseren Willen lebendig und kann dann ein Eigenleben entfalten, was auch, wie in der Literatur gerne erzählt, sich vom Schöpfer emanzipieren kann. Puppen sind die Manifestationen des Magiers, der aber die Kontrolle nicht verlieren darf, ansonsten läuft er Gefahr, sein eigenes Verderben heraufzubeschwören