… für urbane Poser und all die, die es werden wollen. Hier herrscht der rechte Winkel vor, wobei die Strenge der Form durch unterschiedliche Fenstergestaltung und die vermeintlich in die Luft gesetzten Balkons aufgelöst wird. Der Dekonstruktivismus – so scheint es mir -,der in der Architektur gerade bei Zweckbauten momentan so favorisiert wird, findet hier in einer abgemilderten Form für die Wohnbebauung Verwendung.
Die Aufnahmen entstanden gestern beim Tag der Architektur, der jährlich deutschlandweit stattfindet und bei dem ausgewählte Architekturprojekte vorgestellt werden, was für Besucher recht spannend ist.
Ich schaute mir die Neubebauung im Pelikan-Viertel in Hannover an, was aufgrund des ehemaligen Pelikan-Firmensitzes so heißt, wie es heißt.
Auf der Seite des ausführenden Wohnungsbauunternehmens wird das Neubauprojekt VIER wie folgt beworben:
Zwischen zwei winkelförmigen Gebäuden im Norden und im Süden (Maßstab der Nachbarbebauung) sind an der Ost- und Westseite je drei punktförmige Einzelhäuser mit unterschiedlicher Kubatur eingefügt. Unter dem Motto Einzigartige Wohnvielfalt realisierten vier ausgewählte Architekturbüros unterschiedliche Wohntypologien und vier Wohnstile.
Dies ist der Blick durch die Fensterfront der oberen Etage einer zweigeschossigen Wohnung auf dem tiefer gelegenen Balkon und den Innenhof, der durch den Rasenteppich und das Arrangements der einzelnen Begrünungs- und Spielplatzfelder seltsam künstlich wirkt. Ich frage mich, ob eine solche Architektur überhaupt Leben jenseits der Existenz als Maschinenwesen zulässt oder ob es nicht alles Organische, Wilde und Ekstatische parasitär aufnimmt, um es dann, zombiefiziert und für die Warenwelt passend gemacht, wieder auszuspucken? Kann das permanente Leben in einer solchen Architektur gefährlich für das eigene Seelenwohl werden?
Die Bebauung ist dicht, was wohl den innerstädtischen Grundstückspreisen und ökonomischen Interessen geschuldet ist. Manche Ausblicke enden schon an der nächsten Backsteinwand.
Die Vorliebe für den Backstein stellt wohl eine Reminiszenz an die Tradition der norddeutschen Backsteinarchitektur dar und nimmt darüber hinaus den Stil der historischen Fabrikgebäude von 1906 in modernisierter Form wieder auf, was ich für begrüßenswert erachte.
Andere Ausblicke bieten dagegen weite Sicht. Dies ist eine Perspektive, die ich von einen anderen Zimmer der Neubau-Wohnung aufgenommen habe. Sie zeigt eine Brachfläche des ehemaligen Pelikan Werksgeländes und im Hintergrund Gebäude des historischen Fabrikgebäudes, was mittlerweile für Praxen, Büros, Fitnessstudio, Gastronomie- und Hotelbetrieb genutzt wird.
Das Foto zeigt die alte Fabrikbebauung in sanierter Form:
Schlossähnliche Einfahrt zur Fabrik mit ebensolcher Architektur! Es ist noch nicht lange her, als dass auf der Grünfläche Pelikane gehalten wurden und ich als Studentin Füllfederhalter-Lieferungen an kleine Schreibwarenläden in Ostdeutschland, die sich gerade der kapitalistischen Wirtschaft öffneten, veranlasst habe.
Hier ist eine Fabrikfrontansicht zu sehen, deren großangelegte Fenster wohl Modell für den Neubau-Balkon für Übermenschen gedient haben, der ebenfalls unten stehend abgebildet ist.
Das erinnert doch irgendwie an die Architektur von Albert Speer?
Ich verlasse die Wohnungsbesichtigungen mit gemischten Gefühlen. Die Wohnungen erscheinen mir gut durchdacht und großzügig. Die Bebauung im Gesamtkonzept ist interessant, andererseits stößt mich die Durchgeplantheit, die Künstlichkeit und die Dichte der Häuser ab.