Die Weihnachtstage habe ich im Kreis meiner Familie verbracht. Endlich war Zeit, um die Serie meiner Blogbeiträge über meine Rumänien-Rundreise fertigzustellen. Die Zeit der Dunkelheit gab auch genug Gelegenheiten, um sich mit Freunden und Bekannten zu treffen. Bücher konnten gesichtet werden und ich stellte fest, dass, selbst wenn für ein halbes Jahr der Kontakt zur Außenwelt abreißen würde, ich genug zu lesen und zu bedenken hätte.
Die Neujahrskartenlegung bestätigte mir das, was ich ohnehin schon wusste, führte es mir aber noch einmal eindringlich vor Augen. Diesmal nutzte ich das an das Crowley-Tarot angelehnte “Black Flame Tarot“.
Der Brocken ist von mir am 01.01 bestiegen worden. Der Muskelkater danach war fürchterlich. Die Bergbesteigung bei Neuschnee stellte mich vor großen körperlichen Herausforderungen und langsam, so musste ich einsehen, verlangt das Alter doch seinen Tribut.
Das erste Bild des Jahres ist gemalt und eine erste Reise gebucht. Es wird nach Apulien im Absatz des italienischen Stiefels gehen. Die Stauferburg mit seiner interessanten Umsetzung der pythagoreischen Zahlenmystik ruft nach mir.
Zu den Büchern mit denen ich mich u. a. in den zwei Wochen der Dunkelheit und der Besinnung beschäftigt habe, gehört “Moderne und Monumentalität” von Holger Brülls.
Eingeschweißt lag es noch im Schrank, nachdem ich es mir nach dem Besuch der Alchemie Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle letzten Jahr gekauft hatte. Wie hypnotisiert hatte ich nämlich im Treppenhaus des Museums gestanden und war ganz fasziniert von den dort platzierten Wandgemälden gewesen. Was war das? Diese Bilder sprachen etwas in meiner Seele an. Ich recherchierte und lernte, dass es sich dabei um eine der ersten Raumausmalungen im Stil des Expressionismus in monumentalen Dimensionen handeln würde, die sich noch dazu thematisch mit der germanischen Vorzeit und der Edda beschäftigen, darüber hinaus stark vom Bühnentanz des beginnenden 20. Jahrhunderts beeinflusst sind. Die Entwicklung des Menschen vom Jüngling hin zur vollen Entfaltung war im ursprünglichen Konzept so verwirklicht worden, dass auf der unteren Ebene der Weltenraum Yggdrasil in eindringlich-aggressiver Dynamik gezeigt wurde. Der Besucher, der den Treppenlauf folgte, wurde dann mit dem Symbol der Sonne in Form eines links- und eines rechtsläufigen Hakenkreuzes am jeweiligen Treppenaufstieg zu konfrontieren. Der Inhalt war zu dieser Zeit ein esoterischer, nicht ein politischer, was man ja leider in der heutigen Zeit, wo beständig propagiert wird, die Vergangenheit unter Maßgabe der Gegenwart zu beurteilen, betont werden muss.
Im Wipfel des imaginären Weltenbaumes ermöglicht das Wandgemälde schließlich eine Öffnung in mythologisch-rituelle Szenerien. Dieser Teil des Bildzyklus ist erhalten, jedoch ist die umgebene Farbgebung nicht mehr in dunklen Tönen gehalten, wie dies ursprünglich der Fall gewesen war.
All diese Informationen habe ich mir im Nachhinein angelesen und auf alten Fotografien angeschaut. Als ich vor den Bildern der oberen Etage stand, musste ich aber schon geahnt haben, dass dies Teil eines größeren Zusammenhanges war. Ein Aufstieg ist hier also erfahrbar, nicht nur auf einer lebensgeschichtlichen, sondern auch auf einer historischen, wodurch dann der Zusammenhang zu einem Museum der Vorgeschichte hergestellt ist. Natürlich lässt sich das Dargestellte auch in der Form, wie es Nietzsche in seinem Zarathustra beschrieben hat, interpretieren.
Die Ausmalungen stammten vom Maler und Architekten Paul Thiersch, der diese zusammen mit seinen Schülerinnen Johanna Wolff, Klara Maria Kutte und Lili Schultz ausführte. Die Eröffnung des architektonisch ebenfalls beeindruckenden Neubau des Provenzialmuseums unter Leitung des damaligen Direktors Hans Hahne (1875-1935) und dem Wandbildzyklus fand am 11.11.1918 statt.
Ich selbst sehe in den Bildern eine Kontinuität verwirklicht, die ihren Ursprung bereits in der deutschen Romantik datiert. Die damalige Besinnung auf Märchen und somnambule Zustände mündete u.a. in einer Stärkung des Nationalen in der Kaiserzeit. In der Weimarer Republik wurde, nachdem im Jugendstil der Ästhetik des Schönen gehuldigt wurde, gerade in den arissophisch-theosophischen Kreisen, die volksbezogenen Mythenbildumg fortgeführt. Man denke beispielsweise auch an das Haus Atlantis in der Böttcherstraße in Bremen. Die expressionistische Malerei wurde als eine “deutsche Kunst” wahrgenommen, was auch noch zur Zeit des beginnenden Nationalsozialismus der Fall war. Die Nationalsozialisten, die den Trend zur germanisierten Mythenbildung weiterführten, distanzieren sich, obwohl sicherlich einiger ihrer Eliten gewisse Sympathien für moderne Architektur und Expressionismus hegten, in der Folge von dieser Art der modernen Malerei. Seine bizarren Menschendarstellungen galten ihnen schon bald als “entartet”. Die Böttcherstraße überlebte jedoch die 12jährige nationalsozialistische Regierungszeit, genauso wie auch die Wandmalereien in Halle, die zum Teil erst in den 50er Jahren übermalt worden sind. Die jetzt noch zu sehenden Bildzyklen wurden zur Zeit der nationalsozialistischen Ideologie durch Fototafeln verdeckt und entgingen so glücklicherweise einer Zerstörung.
In der Gegenwart ersetzt “Unterhaltung” das Interesse am inneren Schauen des Künstlers. In einer Zeit, die vorrangig funktional aufgestellt ist, findet visionäre Kunst und Mythenbildung wenig Verständnis und bleibt schnell auf das dekorative und das unterhaltsame Element reduziert. Die Geisteswissenschaften sind auf die Erfüllung von ökonomischen Bedarfen reduziert. Mythenbildung in der Politik gilt als suspekt, obwohl sich auch die jetzt herrschenden Ideologien sich ihrer hemmungslos bedienen, jedoch danach trachten, dies hinter nüchtern anmutenden und ermüdenden Zahlenkolonnen verschleiern zu wollen. Tröstlich zu wissen aber, dass das, was jetzt so wenig Beachtung und Wertschätzung erfährt, immer noch vorhanden ist. Ich glaube nämlich an Ungleichzeiten.
Zu dieser Skizze haben mich die Thierschen Wandmalereien inspiriert. Ich finde es spannend, dass die Nase der Frauen gleich in die Stirn übergeht. Mal sehen, wie sich dieses Bild weiterentwickeln wird. Vielleicht werden es die drei Norne oder die Göttin in ihrer dreifachen Gestalt? Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes, was sich hier manifestieren will. Der Malprozess wird es an den Tag legen.