6. Mai 2024

Wilde Männer, Glasbläser und Häusermaler in Venedig. Teil 3

Dies ist der letzte Teil des Berichtes über meine Venedigreise. Hier sind Teil 1 und Teil 2.

Nach dem Frühstück fuhr ich mit dem Zug zur Altstadt. Vom Bahnhof Santa Lucia schlenderte ich gemächlich in Richtung Markusplatz, offen für das, was ich dabei eventuell  noch entdecken könnte. Insofern ließ ich mich treiben. Irgendwann fand ich mich auf eine  der selten Bänke Venedigs wieder, wo ich dem Treiben der Touristen und Einheimischen kontemplativ zuschauen konnte. Solchermaßen eingestimmt  begegnete ich danach dem “Wilden Mann”.  Seht ihr ihn?

An der Vorderfront des Palazzo Bemba-Boldù im Stadtteil Cannaregio ziert er die Häuserfront.  Während ich noch versuchte, die merkwürdige Figur, die meine Aufmerksamkeit fesselte,  einzuordnen, gesellten sich zwei Männer zu mir, von denen der eine, auf Deutsch,  Erklärungen zum “Wilden Mann”  aus einem Buch vorlas.

Der Homo Silvanas (Anm von mir: der Mensch der Wälder, der wilde Mann) verkörpert den Urmenschen. Als Vorfahre Adams kennt er die Sünde nich und lebt am Anfang der Welt wahrscheinlich in Wäldern. Er ist Sinnbild der Naivität, der guten Gesinnung und steht damit im Gegensatz zu einer Welt voller Unaufrichtigkeit, Lügerei und Grausamkeit, denen er zum Opfer fallen kann. Der Homo Silvanas stellt aber auch die dunklen und finsteren Seiten unserer Persönlichkeit dar, sogar jene psychische und sexuelle Perversion, die in der christlichen Welt durch die Figur des Satyrs verkörpert wird.  (Jonglez, Thomas/Zoffoli, Paola: Verborgenes Venedig, o.O. 2016, S. 185)

Ich fragte, ob ich den Ausführungen  zuhören dürfte und fotografierte mir auch den Titel des Buches ab. Nach meiner Reise kaufte ich mir diesen Reiseführer, der weniger die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, stattdessen aber die geheimnisvollen Details im Fokus hat.

Es muss eine unglaubliche Freude sein, mit diesem Buch in der Hand, Venedig zu entdecken, zumal man so auch den Touristen-Hauptströmen entkommen kann.  Gerne würde ich einen solch “geheimnisvoll”  unterlegten Venedigaufenthalt, der auch Zeit zum eigenen kreativen Schaffen hat, für die Zukunft planen.

Weiter ging es durch die Gassen Venedigs. Um so näher ich den Markusplatz kam, um so mehr nahm die Dichte der Geschäfte, die venezianische Masken und allerlei kitschigen Tand feilboten, zu.

Diese Masken haben ihren Ursprung im venezianischen Karneval, wo der christliche Dualismus zwischen Gut und Böse  spielerisch auf den Kopf gestellt  wird. Jenseits der karnevelesken Dekadenz der Venezianischen Republik sollte der Karneval der Bewusstmachung der dunklen und abgründigen Seite der eigenen Seele dienen, was durchaus vergleichbar mit der Funktion des  Homo Silvanas ist, den ich euch ja bereits vorgestellt habe.

Im Frühjahr bin ich, im Zuge eines Tagesausflugs mit meiner Abschlussklasse, noch einmal kurz in Venedig. Ich werde mir dann eine Maske kaufen. Schließlich liebe ich das Figurentheater, das Ritual und das Verkleiden. Manche der Masken, die sich in Venedig bestaunen lassen, inspirieren mich zum eigenen künstlerischen Tun. Das ist gelebtes Spiel.

Beim Markusdom angekommen reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein. Ich hatte mir das Buch von Marko Pogacnik “Venedig. Spiegel der Erdseele. Geomagnetische Erfahrungen einer idealen Stadtlandschaft” mitgenommen und eigentlich geplant mir die Ausführungen durchzulesen, während ich im Markusdom auf eine der Bänke sitze und den Kirchenbau auf mich  ruhig wirken lasse.

Dadurch, dass der Evangelist Markus in einen der Hauptpfeiler der zentralen Kuppel eingebaut sein soll, sieht Marko Pogacnik den Markusdom als eine architektonische Manifestation der Christus-Qualitäten von Liebe und Freiheit, die sich – so seine Anschauung – zusätzlich noch über einen kosmischen Herzzentrum befinden soll.

Ich verstehe Marko Pogacnik  geomantisches  Konzept eher als ein Kunstprojekt, dem ich Anregungen entnehmen kann. Für mich hat das, was er schreibt, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es sind  seine individuellen Mythologien, die ich, die ich eine von ihm differente spirituelle Ausrichtung habe, nur als Anregung sehen kann.

Die Idee aber, dass im  Markusdom ein  unsichtbarer  Einweihungsweg, der durch drei energetische Tore angelegt ist, führen soll, finde ich faszinierend.

Damit man sich dem Herzzentrum des Markusdoms auf eine Weise annähern kann, die seine Kraft zum Segen werden lässt, hat man in der Basilika einen unsichtbaren Weg durch drei energetische Tore angelegt. Diese Tore wirken wie Einweihungsportale, durch welche die Schwingung der Menschen an die Ausstrahlung des kosmischen Herzzentrums angepasst wird. Jedes dieser Tore stellt außerdem, die drei Hauptcharakteristika des kosmischen Herzzentrums dar. (Pogacnik, Marko: Venedig. Spiegel der Erdseele. Geomagnetische. Erfahrung einer idealen Stadtlandschaft, Baden und München 2009, S. 135)

Vor Ort konnte ich der Kraft des Ortes nicht nachspüren. Es gibt einen vordefinierten Weg für die Touristen, die quasi durch die Kirche durchgeschleust werden. Selbst ein kurzer Aufenthalt auf der Kirchenbank, für den man selbstbewusst die Absperrung beiseite schieben muss, fand durch einen freundlich, aber bestimmten Hinweis einer Aufsichtsperson sein schnelles Ende.

Die Bänke sind den Touristenführungen vorbehalten, nicht der Kontemplation. Wahrscheinlich muss man einen Gottesdienst besuchen, um die Chance, für persönliche Entdeckungen zu haben.

Die Seitenportale des Markusdoms zeigen wie der Leichnam des Evangelisten geraubt wurde. Hier ist die Schlussszene zu sehen, wo die Reliquie in den Markusdom hinein getragen wird. Das Mosaik stammt aus dem 13. Jahrhundert. Alle anderen Mosaiken der Seitenportale sind im Laufe der Zeit zerstört und im Barock deshalb neu gestaltet worden. Nur dieses, wo der Markusdom sich selbst zeigt, ist erhalten geblieben.

Für mich war nun die Zeit gekommen, mich zum vereinbarten Treffpunkt meiner Reisegruppe zu begeben. Dies war der Ausgang des Dogenpalastes und  so schaute ich mir die Kapitellen der Säulen an.

Der Dogenpalast ist im Flamboyant-Stil, also den für Venedig typischen gotischen Spiel mit orientalischen Stilelelementen gebaut. Ihn schmücken 600 Kapitelle,  von denen keines  dem anderen gleicht.  So sind dort beispielsweise die 12 Monate genauso dargestellt wie die Todsünden und die Völker der Erde.

Irgendwann waren dann auch alle anderen Reiseteilnehmer da, sodass wir uns auf kleine Boote begaben, mit denen wir erst nach nach Murano, der Glasbläserinsel, und dann nach Murano fuhren.

Auf Murano besuchten wir eine Glasbläser-Vorführung. Für mich hat die Herstellung von Glas durchaus etwas magisches. Schon als Kind war ich davon fasziniert, wie aus dem erhitzten Material kleine transparente Figuren entstehen konnte.

Die Glasherstellung ist eine Art von alchemistischen Prozess.  Und wenn dann noch schwarze Einhörner entstehen, ist die dunkle Magie vollendet.

Murano scheint mir, im Gegensatz zu Venedig, eine kleine Idylle zu sein. Leider hatten wir nur 45 Minuten Aufenthalt, sodass ich nur einen ersten Eindruck gewinnen konnte.

Glaskunstwerk in Ozeanblau!
Idyllisch!

Weiter ging es nach Burano mit seinen bunten Häusern. Auch hier blieb uns nur eine halbe Stunde, sodass die Zeit gerade für ein paar Schnappschüsse reichte.

Das von mir schon empfohlene Buch “Verborgenes Venedig” schreibt dazu:

Einige sind der Meinung, dass die bunten Häuser von Burano einen alten Ursprung haben. Weißer Kalk wurde demnach scheinbar während der zahlreichen mittelalterlichen Pestepidemien benutzt, um die infizierten Häuser zu desinfizieren. Dagegen wurden die nicht infizierten Häuser mit Regenbogenfarben bemalt. Die Fischer benutzen diese Farben auch, um ihre Boote und Schiffe zu kennzeichnen. Auf diese Weise waren die Häuser auch im Herbstnebel von der Lagune aus gut sichtbar, wenn die Fischer die genaue Richtung für ihre Rückkehr nach Hause bestimmen mussten. (Jonglez, Thomas/Zoffoli, Paola: Verborgenes Venedig, o.O. 2016, S. 377)

Zeitlich war es so eng gehalten, weil wir, nach der Bootstour, noch mit dem Bus zur  Ferienanlage Jolly in Venedig Maghera fahren sollten, wo wir im Ristorante Ciao Bella ein fulminantes Mahl, bestehend aus vier Gängen, zu uns nehmen sollten. Zu Beginn hatte ich dabei zwar die Befürchtung, dass die knapp bemessene Nudel-Vorspeise schon alles gewesen sein könnte. Von den vier Gängen wusste ich nämlich nichts! So ich deshalb noch eine Portion Nachschlag zu mir. In der Tat handelte es sich dabei aber nur um die  Vorspeise, sodass ich zum eigentlichen Hauptgang bedauerlicherweise aussetzen musste. Reisen bildet auch bezüglich der Essensgewohnheiten.

Früh am nächsten Morgen flog ich dann zurück nach Hannover.

 

Jetzt ist es schon November und ich habe auf der letzten Wildfrauenhaus-Wanderung gar schon den ersten Schnee in Clausthal-Zellerfeld im Harz erleben dürfen. Das helle Licht und die angenehmen Temperaturen während meines Venedig-Aufenthaltes vom 28.10 bis 31.10 vermisse ich nun. Hier im Norden hüllt mich jetzt die Dunkelheit ein und führt zu inneren Entdeckungsreisen.

Ein Blog lebt auch von Ihren Kommentaren!

Entdecke mehr von mamiwata

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen