5. Mai 2024

Zu Besuch bei den Bossards in der Nordheide

Wandmalerei im Eddasaal der Kunststätte Bossard
Wandmalerei im Eddasaal der Kunststätte Bossard

Von Zeit zu Zeit stelle ich hier auf dem Blog Künstler vor, deren Arbeit mich auf irgendeine Art faszinieren und die in mir eine Resonanz hervorrufen, die mich zu einer näheren Beschäftigung einlädt.

Die Bossards gehören eindeutig dazu. Ich habe das Zentrum ihres Wirkens, die Kunststätte Bossard, im Sommer des vergangenen Jahres besucht. Danach ging es weiter nach Worpswede.

Wie ich die Bossards kennenlernte!

Aufmerksam wurde ich auf sie, nachdem ich mehrere Artikel darüber gelesen hatte, in denen diskutiert wurde, ob die Kunststätte Bossard, das Lebenswerk der Bossards, mit EU-Geldern restauriert werden sollte oder eben nicht. Der Spiegel titelte:

Steuergeld fürs Hakenkreuz

Mit staatlicher Förderung soll in der Lüneburger Heide ein elf Millionen Euro teures Museum für den Expressionisten Johann Bossard gebaut werden. Dabei war der ein Nazi Sympathisant und Judenhasser.

//www.spiegel.de/kultur/museum-fuer-johann-bossard-in-jesteburg-steuergeld-fuers-hakenkreuz-a-00000000-0002-0001-0000-000170518615 (besucht am 06.01.2022)

Der Spiegel positioniert sich hier also eindeutig für einen Verfall, stellt Behauptungen auf, die bei näherer Betrachtung nicht haltbar sind und führt als Beweis für die angebliche Sympathie der Bossards für die Nationalsozialisten ein Hakenkreuz auf, dass in einer Fliese eigelassen ist. Kurzum: Der Artikel im Spiegel lohnt (wie viele andere Medien) nicht das Geld, was diese für ein Leseabo für sich beanspruchen wollen.

Übermalte Swastika im Eddasaal der Kunststätte Bossard
Etwas albern … Übermalte Swastika, Eddasaal

Im Art-Magazin lese ich gar:

Nach den veröffentlichten Dokumenten war Bossard tatsächlich im strengen Sinn kein Nazi – wäre aber wohl gern einer gewesen, hätten bloß die Nazis seinen Vorstellungen entsprochen.

Art 11/2020

Den Satz muss man sich erst einmal auf der Zunge vergehen lassen. Man tausche das Wort Nazi durch ein beliebiges Nomen und es ergeben sich vielfältige Unsinnssätze. Lewis Caroll hätte sicherlich seine Freude daran gefunden.

Meine Aufmerksamkeit war geweckt!

Meine Neugier auf die Kunststätte Bossard weckten weniger die journalistischen Stümpereien, als vielmehr die Fotografien der Wandmalereien, die die Texte begleiteten. Dazu muss ich sagen, dass ich den Expressionismus nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Malerei sehr schätze. Hier im Blog finden sich mittlerweile sehr viele Artikel zum Thema, z. B. hier .

Ich nahm mir also vor, der Kunststätte Bossard einen Besuch abzustatten und ich wurde nur insofern enttäuscht, als dass – zum Zeitpunkt meines Besuches – der Kunsttempel nicht zugänglich waren. Allen Unkenrufen zum Trotz wird jetzt nämlich dort saniert!

Eine Gartenführung entschädigte mich für das Ungemach und ließ mich verstehen, daß die Bossards ihre Kunst in die Landschaft tragen wollten. Auch hier gibt es einiges zu entdecken, beispielsweise daß durch Baumpflanzungen angelegte Omega.

Trotz meiner leichten Enttäuschung, freue ich mich darüber, dass die Kunststätte auch in Zukunft ihre Besucher erfreuen kann. Den Kunsttempel kann ich mir dann später immer noch ansehen.

Doch jetzt einmal der Reihe nach:

Was ist die Kunststätte Bossard?

Die Kunststätte wurde ab 1911 vom Ehepaar Bossard, ausgehend von einem Privathaus. beständig zu einem Gesamtkunstwerk erweitert. Hier, so Johann Bossards Vision, sollte Architektur, Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe in einer mystischen Kombination aus Symbolismus, Jugendstil, Regionalismus und Expressionismus miteinander verschmolzen werden (siehe Vorwort vom Landrat Rainer Rempe zum Katalog “Über dem Abgrund des Nichts“). Bis zu Johann Bossards Tod im Jahre 1950 arbeitete Johann Bossard an seinem großartigen Gesamtkunstwerk.

Eddahalle, Kunststätte Bossard, Außenansicht
Eddahalle, Außenansicht

Als eines der ganz wenigen Gesamtkunstwerke, die nahezu unverändert erhalten geblieben sind, ist die Kunststätte Bossard von besonderem kunsthistorischem Interesse. Sie ist eines der wenigen Denkmäler, in denen sich expressionistische Wandmalerei und expressionistische Raumgestaltung im ursprünglichen Kontext erhalten haben. Der Kunsttempel ist der einzige der visionär-utopischen Kathedralbauten der Zeit des Expressionismus, der tatsächlich errichtet wurde und bis heute erhalten geblieben ist.

Wikipedia: Johann Bossard (besucht am 18.01.2022)

Ein magischer Ort

Ich habe die Kunststätte als einen magischen Ort wahrgenommen, der idyllisch am Nordrand der Lüneburger Heide bei Jesteburg-Lüllau auf einem ca. 3 ha großen Heidegrundstück liegt. Schon die Autofahrt durch eine, für deutsche Verhältnisse, nur wenig besiedelten Landschaftsraum, mutet an, als ob das Tor zu einer anderen Welt beschritten werden soll.

Expressionismus

Die Kunststätte zeigt expressionistische Wandmalereien und expressionistische Architektur. Ich liebe sie und erinnere mich dabei gerne an das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Beim Besuch einer Alchemie-Ausstellung (hier!) und der Himmelsscheibe von Nebra, stellte ich fest, dass das Treppenhaus ein wunderbares expressionistisches Wandgemälde von Paul Thiersch und seinen Schülerinnen aufwies.

Bernhard Hoetger, ist ein weiterer expressionistischer Künstler, mit dessen Werk ich mich immer wieder beschäftigt habe, zum Beispiel hier.

Was fasziniert mich am Expressionismus:

  • das innere Erleben steht im Vordergrund, nicht die bloße Abbildung
  • spontaner Ausdruck
  • Orientierung am Primitiven, Erdigen und Urtümlichen (nach Senator f. Kultur und Ausländerintegration, Bremen (Hrsg.) Bernhard Hoetger. Sein Werk in der Böttcherstraße Bremen, Worpsweder Verlag, 94, S. 196)
  • in der Architektur: Schaffung von Kultstätten einer herbeigesehnten Zeit (ebd, S.196)
  • im religiösen Bezug zutiefst romanisch, wendet sich schließlich gegen die Dominanz des Maschinenmenschen (wobei dies sicherlich nicht auf alle expressionistischen Künstler zutrifft, jedoch auf die, die mich interessieren/genau genommen ist dies eher eine Hypothese, die ich noch näher untersuchen muss).

Johann Bossard und der Nationalsozialismus

Die Kunstrichtung des Expressionismus wurde während der NS-Zeit nicht goutiert. Insofern erstaunt es wenig, dass Alfred Rosenberg, der Chefideiologe der NSDAP, der die Kunststätte auf eine Einladung im Jahre 1934 hin besichtigte, vom Werk der Bossards überhaupt nicht angetan war. Vor diesem Hintergrund erscheint die einleitend angesprochene aktuelle Diskussion über die nationalsozialistischen Hintergründe der Bossards noch paradoxer, als sie sowieso schon ist.

Auch halte ich es immer für problematisch, wenn die Vergangenheit mit dem Wertkanon der Gegenwart bewertet wird. Wir als Nachgeborene können uns sicherlich nur schwer in die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hineinversetzen und was für Überlebensstrategien und Kompromisse sie bei den Einzelnen hervorgerufen haben mag. Nach der Lektüre des Ausstellungskataloges „Über dem Abgrund des Nichts“ scheint es mir so zu sein, daß Johann Bossard, auch bedingt durch sein Interesse an germanischer Mythologgie, mit dem Nationalsozialismus zu Beginn Hoffnungen der Erneuerung verknüpft hat, sich dann aber für ein nach Außen hin unpolitisches Leben entschieden hat. Dieses widmete er ganz der Kunst.

Man kann es wohl Resignation oder innere Emmigration nennen, die immer dann angesagt ist, wenn das Außen eine Dynamik angenommen hat, die wie eine Lawine alles Feinfühlige und Zarte zu ersticken droht.

Johann Bossard nur dadurch, daß er sich für nordische Mythologie interessiert und die Bücher beispielsweise von Rudolf John Gorsleben und Guido von List gelesen haben soll, als Vorbereiter des Nationalsozialsmus und seiner Verbrechen zu sehen, greift jedenfalls zu kurz. Im Übrigen lassen sich bezeichnete Bücher auch lesen, ohne völkischen Ansichten, die damals dem Zeitgeist entsprachen, zu teilen.

Annäherungsversuche beispielsweise an den Sprachgebrauch der NSDAP durch Johann Bossard müssen, wenn sie denn verurteilt werden, genauso verurteilt werden wie heutige sprachliche Annäherungen an die herrschende Ideologie. Das wird niemand tun, der vernunftbegabt ist. Wir können schließlich davon ausgehen, dass nicht jeder Sprachnutzer der politisch überschriebene Wörter benutzt, dies auch vorher reflektiert hat. Wahrscheinlicher ist es, dass ein solcher Sprachnutzer Opfer eines medialen “Framings” geworden ist.

Ich hoffe, dass das Beispiel aus unserer Gegenwart zeigt, dass eine Verurteilung von Menschen, die uns keine Auskunft mehr geben können und die in vollkommen differenten Zeitzusammenhängen als wir gelebt haben, nicht vorschnell erfolgen und bestenfalls gänzlich unterbleiben sollte.

Der angezeigten Schrift der Kunststätte “Über dem Abgrund des Nichts” (s.u.) ist eine vielschichtige Annäherung gelungen, obwohl ich selbstverständlich nicht mit allen dort getätigten Formulierungen übereinstimmen kann. Ich möchte besonders den Aufsatz von Frank-Lothar Kroll löblich hervorheben.

Auf dem Gelände der Kunststätte ist eine kleine Ausstellung in einem Container diesem Thema gewidmet.

Individuelle Mythologien

Opulente expressionistische Wandmalereien im Eddasaal der Kunststätte Bossard
Blick in den Eddasaal, 1935 fertiggestellt.

Im Aufsatz “Das Bildprogramm des Eddasaals von Magdalena Schulz-Ohm lese ich:

Der eigene neue Mythos und die Individuellen Mythologien

Ebenso wie Wagner und letztlich auch Wolzogen nutzt Bossard die Mythologie als “Steinbruch” , um daraus seinen “eigenen neuen Mythos” zu schaffen.

In: Schulz-Ohm, Magdalena: Das Bildprogramm des Eddasaals. In: “Über dem Abgrund des Nichts.” Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus. Schritten der Kunststätte Bossard, Band 17. Jesteburg 2018 , S. 147

Da bin ich doch gleich an die Individuellen Mythologien erinnert, die ich mir selbst für meine Kunst auf die Fahnen geschrieben habe. Ich bin durch den großartigen Kurator Walter Szeemann bei meiner Beschäftigung mit Michael Buthe auf das Thema der Individuellen Mythologien gestoßen. Innerhalb der Documenta 5 gab es eine eigene Sektion, die den Individuellen Mythologien gewidmet war, doch – seien wir ehrlich – Individuelle Mythologien gab es schon vorher: bei Johann Bossard, Richard Wagner, Karl May und seinen Illustrator Sascha Schneider, … etc.. Sie sind also keine Erfindung der 60er Jahre.

Ich selbst bewege mich mit meiner Kunst im Bereich der Individuellen Mythologien und setzte mich thematisch u.a. mit den Armamen-Runen auseinander. Kein Wunder also, dass die Wandmalereien von Johann Bossard bei mir auf Resonanz stoßen.

Bild von Marina Sosseh: Yr und Frau Welt
Dieses Bild ist der Rune Yr gewidmet: Yr oder Frau Welt. Mischtechnik, 29 x 40 cm, Januar 2019

Abschließend ist zu sagen, daß die Kunststätte Bossard nicht nur viel Platz für Inspirationen bietet, sondern auch Raum für kreative Menschen bietet, um an ihrer Kunst zu arbeiten. Es gibt Workshops, an denen Besucher teilnehmen können. Ein Blick auf die Homepage der Kunststätte Bossard lohnt sich.

Ich werde jedenfalls wiederkommen, auch um den dann hoffentlich fertig sanierten Kunsttempel zu betrachten.

Glasbilder in der Kunststätte Bossard, Eddasaal
Glasbilder in der Kunststätte Bossard, Eddasaal

Informationen zu aktuellen Ausstellungen, Öffnungszeiten, Anfahrt, … etc. sind auf der Seite der Kunststätte Bossard abrufbar: hier!

Mein Buchtipp: Mayr, Gudula (Hrsg.): “Über dem Abgrund des Nichts.” Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus. Schritten der Kunststätte Bossard, Band 17. Jesteburg 2018

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