Nach den ersten beiden Teilen meiner Irland – „Eine Reise zwischen Anfang und Neubeginn“ sowie „Lange Wege, enge Kojen und erste Zeichen“ – weitet sich nun der Blick: weg von äußeren Stationen, hinein in eine tiefere, symbolische Ebene.
Dieser Abschnitt ist der wohl persönlichste bisher. Er handelt von einem alten Gott – Cromm Cruaich – und von einer inneren Konfrontation mit Tod, Angst und der Frage, wie wir weiterleben, wenn etwas in uns unwiderruflich zu Ende gegangen ist.
Wer bereit ist, mythologische Deutungen nicht nur als ferne Geschichten, sondern als Spiegel der Seele zu lesen, wird in dieser Etappe vielleicht etwas Eigenes erkennen
Wer ist Cromm Cruaich?
Dazu ist zu wissen, daß kurz vor Antritt meiner Irland-Reise meine Mutter verstorben war und die Reise mir somit auch zur Trauerbewältigung diente. Vor diesem Hintergrund, ist es eigentlich nicht erstaunlich, daß mir Cromm Cruaich begegnete.
Im Zentrum der keltischen Mythologie steht die Vorstellung von der Anderswelt – einem parallelen Reich, das neben unserem eigenen existiert und von Göttern, Geistern und anderen bevölkert ist. Es ist ein Ort, an dem die Grenzen von Leben und Tod verschwimmen und die Lebenden mit den Toten interagieren können. Für die Kelten war der Tod kein Ende, sondern ein Übergang in eine neue Phase der Existenz, die ebenso lebendig und bedeutsam war wie das Leben selbst. Dieser Glaube wird in Geschichten von Menschen veranschaulicht, die unser Raum-Zeit-Kontinuum verlassen und in die Anderswelt reisen, wo sie nicht nur Feen, sondern auch geliebten Gestalten aus ihrer Vergangenheit begegnen. Wenn sie dann in die diesseitige Welt zurückkehren, müssen sie feststellen, daß ihre Zeitgenossen schon gealtert oder gar tot sind, denn ein Tag in der Anderswelt entspricht beispielsweise sieben Jahre in der profanen Welt und eine Rückkehr ist eigentlich nicht vorgesehen.
Im Internet wird mir Crumm Cruaich als ein furchtbarer Wurm präsentiert, der die Seelen der Feinde verspeist, um ihnen so den Eintritt in das Totenreich zu verwehren. Zwar werden Würmer und Schlangen in vielen Mythologien als Symbole für die Unterwelt und im Fall der Schlange auch als Zeichen der Transformation angesehen, doch hier könnte eine christliche Verzerrug und Kontaminierung hin zum Negativen erfolgt sein.
Hinter Cromm Cruaich verbirgt sich der Totengott des irischen Pantheons. Er ist der Menhir, der aufrecht stehende Stein, und somit der Gott der Steinkreise. Zwölf Steine stehen im Kreis. Zu Samhain, den Tag, wo sich, genauso wie zu Beltain, die Tore zur Anderswelt öffnen, wurde ihm geopfert, um Fruchtbarkeit, Ernte und möglicherweise auch Schutz vor Katastrophen zu gewährleisten und so den ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt zu ermöglichen. Er wird mit Blutopfern, insbesondere in Form von Menschenopfern, assoziiert.
Zu den folgenden Abbildungen: Die beiden ersten Bilder sind von mir in Procreate gezeichnet. Bild 1 ist sozusagen eine Vorstudie für Bild 2. Dabei habe ich mich davon beeinflußen lassen, daß Cromm Cruaich auch als „der Gekrümmte“ oder „der Gebogene“ bezeichnet wird. Crom/Cromm hat im Altirischen die Bedeutung von gebeugt, gekrümmt und niedergeworfen. Aus diesem Grund wählte ich ein ausdrucksstarkes Tanzfoto von Hans Kreuzberger als zeichnerische Vorlage, was ich hernach in die Senkrechte gebracht habe. Die anderen Bilder sind KI generiert.




In einer Sammlung von Ortslegenden aus dem 12. Jahrhundert steht sogar, daß auf der Ebene Magh Slécht, was “Feld der Niederwerfug” bedeutet, in der Grafschaft Cavan ein goldenes Standbild von Cromm Cruaich stand, umgeben von zwölf Steinstatuen. Die Erstgeborenen aller lebenden Wesen sollten ihn hier geopfert werden, um gute Erträge an Milch und Getreide zu erhalten. Archäologische Beweise gibt es hierfür nicht und vielleicht sind all dies auch nur christliche Schauermärchen.
Cromm Cruaich scheint jedenfalls das Grauen des Todes zu verkörpern. Und wenn ich nun selbst den Tod meiner Mutter als eine Erlösung von Krankheit und Schrecken angesehen habe, so stand der schreckliche Aspekt des Todes mir zu diesem Zeitpunkt sehr präsent vor Augen. Ich war zu diesem Zeitpunkt (und eigentlich auch noch jetzt) sehr weit davon entfernt, Cromm Cruach als einen Gott anzusehen, der uns daran erinnert, dass das Leben ein gewebter Teppich ist, der aus Freude und Leid, Schöpfung und Zerstörung besteht.
Doch Irland gab sich nicht allein als Ort dunkler Spiegel. Auf den kommenden Stationen meiner Reise öffneten sich Landschaften, die wie aus einer anderen Zeit wirkten – lichte Gegenden, durchwirkt von einer fast überirdischen Ruhe.
In der Begegnung mit Cromm Cruaich spiegelte sich mir nicht nur der Schrecken des Todes, sondern auch der stille, fordernde Impuls, das Leben in all seiner Zerrissenheit anzunehmen.
Doch Irland gab sich nicht allein als Ort dunkler Spiegel. Auf den kommenden Stationen meiner Reise öffneten sich Landschaften, die wie aus einer anderen Zeit wirkten – lichte Gegenden, durchwirkt von einer fast überirdischen Ruhe.
Im nächsten Teil wird es darum gehen, wie der Übergang von innerer Düsternis zu äußerem Leuchten sich in konkreten Erlebnissen manifestierte – und welche unerwarteten Begegnungen mich daran erinnerten, daß Trauer nicht nur Rückzug, sondern auch Öffnung bedeuten kann.