Mal wieder: Mittelaltermarkt in Bückeburg und das – wider meine Erwartung – ohne Regen und Sturm. Der große Platz vor dem Mausoleum im Schlosspark Bückeburg, übrigens dem Größten seiner Art in Europa, wird von einer Mischung aus vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich aus dichten Wolkenbänden hervorkämpfen und dunklen Regenwolken, die über dem Harrl-Höhenzug liegen, in ein fast mythisch anmutendes Licht getaucht.
Das Treiben auf dem Platz ist bunt und lässt mich immer wieder staunen. Letztendlich entwickelt sich der Markt, ich habe ja den Vergleich mit „vor zwei Jahren“ immer mehr zu einem Phantasie-Spectaculum und entfernt sich vom reinen Mittelalter-Ambiente. Das ist meiner Meinung nach durchaus legitim, schließlich ist es ohnehin unmöglich, ein annähernd „echtes“ Bild vom Mittelalter zu zeichnen. Jedenfalls wäre dies mit einer Reihe von Bemühungen und Selbstbeschränkungen verbunden, so müsste man sich beispielsweise verlässlich auf eine Zeitspanne einigen und historische Forschung betreiben, die sicherlich nicht von jedermann und jederfrau geleistet werden kann. Egal, denn dieses löbliche Unterfangen wäre letztendlich sowieso zum Scheitern verurteilt, weil unser Geschichtsbild immer gespiegelt ist von den Erfahrungen der Gegenwart. Eine Authentizität kann es nicht geben.
Letztendlich muss bei solchen Veranstaltungen, die ein „lebendiges“ Geschichtsbild vermitteln wollen, entschieden werden, ob eine historische Gültigkeit zumindest angestrebt werden soll, was zumeist dann auch mit didaktischen Intentionen verbunden wäre, oder ob der Spaß (oder/und der Kommerz) im Vordergrund stehen soll, wobei es, um die Angelegenheit noch komplizierter zu gestalten, sicherlich auch spaßige Geschichtsdarstellungen, beispielsweise im Museumskontext, geben kann.
Der Markt in Bückeburg hat sich jedenfalls für „Party“ und eine Huldigung an den schnöden Mammon entschieden und insofern ist dort auch Platz für DarstellerInnen und BesucherInnen (die Grenze ist fließend), die nicht nur das Burgfräulein und den Ritter, sondern auch den Ork, die Nymphe oder den Steampunk-Piraten darstellen. Dazwischen laufen die Gothic-Anhänger herum, die in ihrer Kleidung zum Teil sogar ihre SM-Fetische zur Schau tragen.
Erlaubt ist, was gefällt und nicht alles, was offensichtlich demonstriert wird, muss vom Träger/von der Trägerin auch intellektuell erfasst worden sein. Und das beruhigt mich, die ich durch das Treiben sogar zu einer melancholischen Revue in die eigene Vergangenheit inspiriert worden bin. Schließlich leben die 20- bis 30-jährigen Besucher/innen, die eindeutig in der Überzahl sind, in ihrem Verkleidungsspiel mittlerweile selbstverständlich das aus, wofür meine Generation noch mühsam den Weg ebnen musste.
Musik ertönt von verschiedenen Bühnen. Natürlich darf die unvermeidliche Tribal-Darstellung vor schottischer Musikgruppe mit Sackpfeifen- und Bodhrán-Einsatz nicht fehlen. Es gibt aber auch mongolische Musik oder eine Fakirshow mit Feuereffekten. Beliebigkeit ist Programm und das Speckstein-Schnitzen zieht den Eltern noch die letzten Taler aus der Tasche. Händler und Marketenderinnen halten wohlfeil, was das Partyvölkchen beglückt: Goa-Style-Taschen, Kettenhemden, selbstgezogene Kerzen, Räucherwerk, Sternzeichen- und „Engel“schmuck.
Das farbenprächtige Verkleidungsspektakel unter Regenwolken ist Flucht aus einer Gegenwart, die zunehmend im Geschwindigkeitsrausch einen Überlebenskampf postuliert, der sich seine Sublimation in phantasievolle Gegenwelten suchen muss, die also – das ist der immanente Widerspruch – sich erneut dem Duktus der ökonomischen Verwertbarkeit unterwerfen. Dem Publikum mag es nicht bewusst sein und so werden die bunten Kleidungsstücke am Montag wieder gegen Verkleidungen getauscht, die sich unauffällig „auf der Arbeit“ tragen lassen – bis zur nächsten Larp.