
Abgründe
Bei der morgendlichen Lektüre fand ich diese Ausführung von Prof. Dr. Rainer F. Schmidt über Rudolf Höß, den Kommandanten von Ausschwitz:
“Er war und blieb der ‘Mann aus der Menge’ , unscheinbar , ohne sadistische Affekte, ohne den Drang zur Schindernatur und ohne den Hang zum Kriminellen. Aber er hatte eben auch keinen moralischen Kompaß und keine ethischen Werte, die ihn vor dem Abgleiten in die Barbarei hätten schützen können. Den Leviathan, der in solchen Durchschnittsnaturen vor sich hinschlummert, kann man nicht besiegen, wenn man ihnen nur den Kadavergehorsam austreibt, wenn man sie anonymen staatlichen Institutionen ausliefert oder wenn man mit ihnen einem antiautoritären Erziehungsideal huldigt.“ ( Schmidt, Rainer: Herr der Todesfabrik, Junge Freiheit Nr. 5/24)
Wie läßt sich nun aber dieser Banalität des Bösen, wie dieses Phänomen von Hannah Arendt bezeichnet wurde, verhindern?
Kunst als möglicher Lösungsansatz
Hier halte ich es mit Schiller. In seinen Briefen “Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ legt er dar, daß nur die Kunst den Ausgleich zwischen den Stoff- und den Formtrieb des Menschen erzielen kann. Der Stofftrieb ist auf das Materielle ausgerichtet, während der Formtrieb ganz auf den Verstand fokussiert ist. Die Kunst jedoch ist das Resultat des Spieltriebes, der Form- und Stofftrieb in sich vereint. Die Kunst erst vermag, Stoff- und Formtrieb im Gleichgewicht zu halten und sich gleichsam über sie zu erheben. Kunst kann den Menschen veredeln, indem er sich durch sie erst seiner Möglichkeiten bewusst wird, ohne dabei auf die Zwänge der Wirklichkeit achten zu müssen. So schafft der Spieltrieb als lebendige Gestalt Schönheit, Ästhetik und Kunst.
Die künstlerische Betätigung ist also die Basis, um sich verstandesmäßigen Aufgaben überhaupt erfolgreich widmen zu können.
Wo dies versäumt wird, lauert die Barbarei und gerade in Zeiten, wo unsere Lebensverhältnisse mehr und mehr dekonstruiert werden, liegt das Heilende in der Kunst, die wir im Alltag, auch jenseits von kapitalistischen Penetrationen, an erste Stelle setzen sollten, so meine Überzeugung.
Und die Politik?
Hypothese: Ein Politiker, der eine Oper genießen kann, wird dadurch überhaupt erst fähig zum politisch konstruktiven Handeln. Einer aber, dem der ästhetische Zustand fremd ist und der nur in der Ratio verankert ist, wird anfälliger für das Böse, was gerne im Gleichschritt des Kollektivs daherkommt, sein, als jemand, der sich selbst, auch mit Hilfe der Kunst, bewusst ist. Er veredelt sich somit selbst.
Da fällt mir doch gleich der zum Poesiealbum-Spruch abgesunkene Ausspruch von Goethe ein, der nicht nur Politiker, sondern den Menschen in seiner Ganzheit meint:
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.
Goethe: Das Göttliche (Gedicht), 1783