Gestern war ich in Emden – mit dem Freundeskreis für Ur- und Frühgeschichte und den Denkmalpflegern. Insgesamt sechs Stunden Zugfahrt in der Regionalbahn, zeitweilig zusammen mit grölenden Fussballfans, hysterischen Jungfrauen und einem Aufgebot an bulligen Sicherheitspersonal, die erwartungsgemäß keine Miene verzogen. Eine Schaffnerin, die aussah, als ob sie direkt einem japanischen Manga entsprungen wäre und eine Sanitäranlage, die ich hier lieber nicht beschreibe, bildeten das weitere Hintergrundszenario für angenehme Gespräche mit Menschen, die mir zuvor nicht bekannt waren. Lebensanekdoten wurden ausgetauscht und eine Geschichte ergab alsbald die nächste. Und mir wurde langsam bewusst, dass im Alltag für diese Ausgiebigkeit der Gespräche meist keine Zeit bleibt und dass mittlerweile fast alles verkommen ist zu Minimal-Dialogen, die nur noch irgendwelchen Nützlichkeits- und Profilierungsansprüchen folgen.
Da lobe ich mir also entspannte Bahnfahrten mit netten Menschen! Bei einer solcherart “veralteten” Freizeitbeschäftigung wird uns der “Verlust” bewusst, den die Schnelllebigkeit der modernen Zeit schon längst als Tribut gefordert hat, was wiederum Voraussetzung dafür ist, auch in Zukunft ein genießerisches Lebenstempo walten zu lassen.
Während ich also abwechselnd redete und zuhörte war der Zug vom südlichen Niedersachsen durch die ostfriesische Landschaft gerollt, was mir aber bei der Kur(t)zweiligkeit der Gespräche durchaus “nicht langsam” vorkam. Das Wetter war “schietig” und so war von den Organisator/inn/en – neben dem eigentlichen Ziel der Exkursion – kurzfristig noch der Programmpunkt “Bibliotheksbesichtigung” aufgenommen worden.
Zuvor ging es aber zur Ausstellung “Land der Entdeckungen” im ostfriesischen Landesmuseum, wo uns die bronzezeitliche Moorscheibe von Moordorf erneut begegnete, die zuvor die gleiche Reise wie wir angetreten hatte – nämlich von Hannover (ihre jetzige Heimat) nach Ostfriesland (wo sie ja auch ursprünglich herstammt).
Ein Shanty–Chor spielte an der Delft und die Bibliothek entpuppte sich alsbald als eine Kirche, die mit Leichtigkeit die Kulisse für fantastische Bücher-Abenteuer liefern könnte. Architektonisch empfand ich das dortige Zusammenspiel von alten Backsteinsäulen mit modernen Architekturelementen als Meisterwerk und gerne würde ich den anachronistischen Ort noch einmal besuchen, wenn denn die Kerzen der beiden riesigen goldenen Kronleuchter brennen und alles in ein flackerndes und geheimnisvolles Licht tauchen würden.
Die ehrenamtliche Führerin war ambitioniert und referierte fast 90 Minuten mit Begeisterung nicht nur über die Geschichte der Johannes a Lasco-Bibliothek, sondern auch über die reformierte Theologie im Allgemeinen, derweil mich streng reformatorische Pfarrer “in Öl” von den alten Wänden anstarrten und ich mich wahrlich glücklich schätzte, ihnen nicht leibhaftig begegnen zu müssen.
Selbstredend war das Fotografieren verboten.