5. Oktober 2025

Ein anachronistischer Samstag

 

Gestern war ich in Emden – mit dem Freundeskreis für Ur- und Frühgeschichte und den Denkmalpflegern. Insgesamt sechs Stunden Zugfahrt in der Regionalbahn, zeitweilig zusammen mit grölenden Fussballfans, hysterischen Jungfrauen und einem Aufgebot an bulligen Sicherheitspersonal, die erwartungsgemäß keine Miene verzogen. Eine Schaffnerin, die aussah, als ob sie direkt einem japanischen Manga entsprungen wäre und eine Sanitäranlage, die ich hier lieber nicht beschreibe, bildeten  das  weitere Hintergrundszenario für   angenehme Gespräche  mit Menschen, die mir zuvor nicht bekannt waren. Lebensanekdoten wurden ausgetauscht und eine Geschichte ergab alsbald die nächste. Und mir wurde langsam bewusst, dass im Alltag für diese Ausgiebigkeit der Gespräche  meist keine Zeit bleibt und  dass mittlerweile fast alles verkommen ist zu Minimal-Dialogen, die nur noch irgendwelchen Nützlichkeits- und Profilierungsansprüchen folgen.

Da lobe ich mir also  entspannte Bahnfahrten mit netten Menschen!  Bei einer solcherart “veralteten” Freizeitbeschäftigung wird uns der “Verlust” bewusst, den  die Schnelllebigkeit der modernen Zeit schon längst  als   Tribut gefordert hat, was wiederum Voraussetzung dafür ist, auch in Zukunft ein genießerisches Lebenstempo walten zu lassen.

Während ich also abwechselnd redete und zuhörte war der Zug vom südlichen Niedersachsen durch die ostfriesische Landschaft gerollt, was mir aber bei der Kur(t)zweiligkeit  der Gespräche durchaus “nicht langsam” vorkam.  Das Wetter war “schietig” und so war von den Organisator/inn/en – neben dem eigentlichen Ziel der Exkursion – kurzfristig noch der Programmpunkt “Bibliotheksbesichtigung” aufgenommen worden.

Zuvor  ging es aber zur Ausstellung “Land der Entdeckungen” im ostfriesischen Landesmuseum, wo uns die bronzezeitliche Moorscheibe von Moordorf  erneut begegnete, die zuvor die gleiche Reise wie wir angetreten hatte – nämlich von Hannover (ihre jetzige Heimat) nach Ostfriesland (wo sie ja auch ursprünglich herstammt).

Ein Shanty–Chor  spielte an der Delft und die Bibliothek  entpuppte sich alsbald als eine Kirche, die mit Leichtigkeit die Kulisse für fantastische Bücher-Abenteuer liefern könnte. Architektonisch empfand ich  das dortige  Zusammenspiel von alten Backsteinsäulen mit modernen Architekturelementen als Meisterwerk und gerne würde ich den anachronistischen Ort noch einmal besuchen, wenn denn die Kerzen der beiden riesigen goldenen Kronleuchter brennen und alles in ein flackerndes und geheimnisvolles Licht tauchen würden.

Die ehrenamtliche Führerin war ambitioniert und referierte fast 90 Minuten  mit Begeisterung nicht nur  über die Geschichte der Johannes a Lasco-Bibliothek, sondern  auch über die reformierte Theologie im Allgemeinen,  derweil mich streng reformatorische Pfarrer “in Öl” von den alten Wänden  anstarrten und ich mich wahrlich  glücklich schätzte,  ihnen nicht leibhaftig begegnen zu müssen.

Selbstredend war das Fotografieren verboten.

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