5. Oktober 2025

Quedlinburg: Advent in den Höfen

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Allgemeinhin gestaltet sich die Zeit vor Weihnachten bei mir nicht besonders besinnlich. Zu dicht sind die beruflichen und privaten Verpflichtungen, um sich bei Kerzenschein und Spekulatius-Keksen entspannt in die Dunkelheit fallen zu lassen.

Eine willkommene Unterbrechung der Vorweihnachts-Hektik stellte die  “Wildfrauenhaus”-Wanderung dar, die letzten Sonntag stattfinden sollte und die wir – mangels sportlichen Ehrgeizes – zu einer Städtetour umfunktioniert hatten. Und so machten wir uns am Sonntag auf zu einer kleine Reise  in den Ostharz: Werningerode oder  Quedlinburg standen zur Auswahl.

Letztendlich entschieden wir uns für Quedlinburg. Die Aufnahme der Stadt in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes verhieß schließlich  kulturell-historische Entdeckungen.

Schon im Zug von Halberstadt nach Quedlinburg ahnten wir, dass es so entspannt-historisch erforschend nicht werden würde, wie von mir geplant. Der kleine HEXen-Express war rappelvoll mit Ausflüglern, die allesamt das gleiche Ziel vor Augen hatten,  nämlich Quedlinburg.
Die ganze Stadt, laut Wikipedia eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands, war zum Weihnachtswunderland umfunktioniert worden.  Das Projekt nennt sich “Advent in den Höfen”, was bedeutet das einige Höfe der  sage und schreibe 1327 Fachwerkhäuser für die Besucher geöffnet und mit allerlei Krämer- und Kunsthandwerker bestückt sind, aber auch – was ich wirklich sehr löblich  finde – von Vereinen, Schulen und Nachbarschaftszusammenschlüssen bespielt werden.

Sympathie für das Ehrenamt hin oder her: Ich hätte gerne an den Einnahmen der kapitalistisch organisierten  Glühweinstände partizipiert, die fleißig von den vielen Besuchern frequentiert wurden.

Bevor wir aber selbst uns mit Hilfe alkoholischer Getränke in einem beschwingten Zustand versetzen wollten,  stand Kultur auf  dem Programm. Immerhin wollten wir die Stiftskirche, der mein Kunst-Reiseführer ja immerhin fünf Seiten widmete, nicht ungesehen lassen. Doch die einheimische Bevölkerung, die wir fragten, wusste mit der Bezeichnung  “Stiftskirche” nicht wirklich etwas anzufangen.  Das Zauberwort “Schlossberg”  hätte uns wohl schneller zum Ziel geführt, so aber mäanderten wir noch eine längere Zeit durch das Weihnachtswunderland und fanden uns schließlich vor dem  Schlosshotel (oder Quedlinburger Stadtschloss) wieder, wo uns dieser Herr der Renaissance streng entgegenblickte:

 

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Neben dem Stadtschloss sahen wir die Ruine eines Benediktinerinnenkoster, was einst von der Äbtissin Matthilde, Gemahlin von Heinrich I und Vater von Otto d. Großen, 986 gegründet wurde, ließen dieses aber ohne nähere Begutachtung “rechts” liegen und gingen zurück zum Marktplatz, von dem wir dann – oh Wunder!  – wirklich den Schlossberg erreichten.

 

Quedlinburg

 


Um die  Stiftskirche St. Servati  zu betreten, mussten wir sage und schreibe 4 € Eintritt bezahlen (und dies ohne Krypta, dafür aber mit Domschatz, der 1945 von Amerikanern geraubt wurde und 1992 “zum Teil” zurückkehrte).  Eintritt, um eine Kirche zu besichtigen, war für mich ein gewisses Novum und ich fragte mich, wie schlecht es der Kirche in Deutschland gehen müsste, um  die neutestamentliche “Tempelreinigungs”-Geschichte auf diese gierige Art und Weise zu paraphrasieren?  

Wikipedia belehrte mich aber, dass die Stiftskirche  eben nur noch von den Religionsgemeinschaften “genutzt” wird,  was wahrscheinlich bedeutet, dass es “Staatseigentum” ist und dies nicht nur seit den Zeiten der DDR: Schon 1938 wurde die Kirche von der SS besetzt und  von Heinrich Himmler zur “Weihestätte” umfunktioniert.  Die Geschichte vom “ersten deutschen König”, der in Quedlinburg der Sage nach die Nachricht von seiner Königswahl erhalten haben soll,  wurde überhöht und für nationalsozialistische Zwecke fruchtbar gemacht.

 

Bundesarchiv Bild 183-H08447, Quedlinburg, Heinrichs-Feier, Heinrich Himmler



Wie wir alle  wissen: Geschichte wird gemacht, wobei heutzutage  eher touristisch-marktwirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen als nationale.

 

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cuba libre


Fazit: “Advent in den Höfen”  ist sicherlich ein tolles Event für alle Weihnachtsmarkt-Liebhaber;  wer aber die Stadt in Ruhe genießen möchte, der sollte anderen Tagen den Vorzug geben.

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