Allgemeinhin gestaltet sich die Zeit vor Weihnachten bei mir nicht besonders besinnlich. Zu dicht sind die beruflichen und privaten Verpflichtungen, um sich bei Kerzenschein und Spekulatius-Keksen entspannt in die Dunkelheit fallen zu lassen.
Letztendlich entschieden wir uns für Quedlinburg. Die Aufnahme der Stadt in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes verhieß schließlich kulturell-historische Entdeckungen.
Sympathie für das Ehrenamt hin oder her: Ich hätte gerne an den Einnahmen der kapitalistisch organisierten Glühweinstände partizipiert, die fleißig von den vielen Besuchern frequentiert wurden.
Bevor wir aber selbst uns mit Hilfe alkoholischer Getränke in einem beschwingten Zustand versetzen wollten, stand Kultur auf dem Programm. Immerhin wollten wir die Stiftskirche, der mein Kunst-Reiseführer ja immerhin fünf Seiten widmete, nicht ungesehen lassen. Doch die einheimische Bevölkerung, die wir fragten, wusste mit der Bezeichnung “Stiftskirche” nicht wirklich etwas anzufangen. Das Zauberwort “Schlossberg” hätte uns wohl schneller zum Ziel geführt, so aber mäanderten wir noch eine längere Zeit durch das Weihnachtswunderland und fanden uns schließlich vor dem Schlosshotel (oder Quedlinburger Stadtschloss) wieder, wo uns dieser Herr der Renaissance streng entgegenblickte:
Neben dem Stadtschloss sahen wir die Ruine eines Benediktinerinnenkoster, was einst von der Äbtissin Matthilde, Gemahlin von Heinrich I und Vater von Otto d. Großen, 986 gegründet wurde, ließen dieses aber ohne nähere Begutachtung “rechts” liegen und gingen zurück zum Marktplatz, von dem wir dann – oh Wunder! – wirklich den Schlossberg erreichten.
Um die Stiftskirche St. Servati zu betreten, mussten wir sage und schreibe 4 € Eintritt bezahlen (und dies ohne Krypta, dafür aber mit Domschatz, der 1945 von Amerikanern geraubt wurde und 1992 “zum Teil” zurückkehrte). Eintritt, um eine Kirche zu besichtigen, war für mich ein gewisses Novum und ich fragte mich, wie schlecht es der Kirche in Deutschland gehen müsste, um die neutestamentliche “Tempelreinigungs”-Geschichte auf diese gierige Art und Weise zu paraphrasieren?
Wikipedia belehrte mich aber, dass die Stiftskirche eben nur noch von den Religionsgemeinschaften “genutzt” wird, was wahrscheinlich bedeutet, dass es “Staatseigentum” ist und dies nicht nur seit den Zeiten der DDR: Schon 1938 wurde die Kirche von der SS besetzt und von Heinrich Himmler zur “Weihestätte” umfunktioniert. Die Geschichte vom “ersten deutschen König”, der in Quedlinburg der Sage nach die Nachricht von seiner Königswahl erhalten haben soll, wurde überhöht und für nationalsozialistische Zwecke fruchtbar gemacht.
Wie wir alle wissen: Geschichte wird gemacht, wobei heutzutage eher touristisch-marktwirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen als nationale.
Fazit: “Advent in den Höfen” ist sicherlich ein tolles Event für alle Weihnachtsmarkt-Liebhaber; wer aber die Stadt in Ruhe genießen möchte, der sollte anderen Tagen den Vorzug geben.