Diese Woche war ich in Paris.
Das ist der Blick aus meinem Hotelzimmerfenster im 18. Arrondissement. Es lässt erahnen, dass das Stadtviertel nicht das beste war … Innerhalb meiner subjektiven Empfindungen ein “gefährlich” anmutender Un-Ort, bevölkert von merkwürdigen Gestalten, denen ich nicht über den Weg traute. Müllverbrennung unter der Autostraßenbrücke, Verkehrs-Kollaps. Die Luft wollte ich nicht atmen. Der perfekte Ort, um seine depressiven Verstimmungen auszuweiten und in ein unendliches schwarzes Loch zu taumeln, in dem alles aufgelöst wird.
Die Metro – eng, enger, am engsten – bringt mich zum Eifelturm. Unterhalb des Pariser Wahrzeichens, zeigt die Polizei und das Militär Präsenz. Osteuropäisch aussehende Männer und Frauen werden, derweil meine Schulklasse den Eifelturm besteigt, von der Polizei gefilzt. Eine Frau steckt einem Mann hinterrücks ein “Päckchen” zu.
Ich trage mein Geld in einem Brustbeutel. Schönes Paris!
Heteropien: Das sind nach Michel Foucault die Räume, die ausgegrenzt werden von der Gesellschaft, wie beispielsweise Friedhöfe , Gefängnisse, Theater, Gärten, Museen, Bibliotheken, Festwiesen, …
Heterotopie (aus gr. hetero (anders) und topos (Ort)) ist ein von Michel Foucault in einer frühen Phase (1967) seiner Philosophie kurzzeitig verwendeter Begriff für Räume bzw. Orte und ihre ordnungssystematische Bedeutung, die die zu einer Zeit vorgegebenen Normen nur zum Teil oder nicht vollständig umgesetzt haben oder die nach eigenen Regeln funktionieren. Foucault nimmt an, dass es Räume gibt, die in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren. (Wikipedia, besucht am 29.03.2014)
Nun ist der Eiffelturm ja bekanntlich der Mittelpunkt von Paris und doch findet die heterotopische Parallelwelt mit all ihren Bettlern und Trickbetrügern parallel zum touristischen Sightseeing statt, jedoch kontrolliert und sanktioniert von den Ordnungshütern, die versuchen, die ständig lauernde Gefahr zu bannen. Die Heterotopie soll nicht übergreifen auf das Vorzeige-Paris, das mit seinen weitläufigen Alleen und Palästen die Shoppinggelüste der Finanzoligarchen bedient und mit seiner oberflächigen Eleganz die vielen Besucher am Mythos des Reichtums und “schönen Lebens” – zumindest “scheinbar” – teilnehmen lässt. Die Schüler shoppen bei Zaza und anderen globalisierten Bekleidungsketten und glauben, dass das Ergebnis ihrer Einkaufstour “einmalig” und “besonders” sei.
Derweil erhole ich mich in einer angenehmen Heteropie. Der Parc Monceau ist angefüllt mit freimaurerischen Symbolen und wirkt – inmitten der Pariser Hektik – wunderbar aus der Zeit gefallen.
Ganz zum Schluss des Paris-Aufenthaltes, schnell im Vorbeifahren, fiel mir eine Ansammlung von Hütten auf, die ich zuerst als eine Art von merkwürdiger und verstörender “Müllhalde” wahrnahm. Da aus dem vermeintlichen Unrat sich aber provisorische Schornsteine erhoben, die Qualm zum Himmel bliesen, musste es sich – diese Erkenntnis fiel mir schwer – um einen riesigen Slum handeln, den ich vielleicht in Dakar erwartet hätte, nicht aber in einer europäischen Hauptstadt.
Ich recherchierte. Es handelt sich um einem Roma-Slum, wovon es in Paris mehrere geben soll. Eindeutig eine extreme Heteropie, schließlich stellt allein die Existenz von solchen Siedlungen eine Umkehrung der herrschenden europäischen Normen von Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung dar. Hier also war eine Keimzelle dessen, was ich als Parallel-Heteropie schon überall in Paris wahrgenommen hatte: ausufernd, um sich greifend, irgendwie verunsichernd, barbarisch, der “Schatten” dessen, was europäische Zivilisation auszumachen scheint … Das gefiel mir nicht, trifft auf irgendeine verstörende Art und Weise einen wunden Punkt bei mir. Ein unschöner Fleck, den ich in meiner Welt nicht haben will. Und so fragte ich mich: Was machen wir damit? Tolerieren? Vernichten? Eindämmen? Wuchern lassen? Platz geben, auch auf die Gefahr hin, dass alles andere, besonders das Liebgewonnene, im dreckigen Chaos ersticken wird…? Antworten stiegen aus meinem Unterbewusstsein auf, die mich erschrecken ließen: vor mir selbst.
Zum Weiterlesen: Der Aufsatz von Michel Foucault über die Heterotopien: Andere Räume
Obwohl die Stadt sehr bemüht ist, den äußeren Eindruck für die Touristen zu wahren, bekommt sie die Probleme anscheinend nicht in den Griff. Danke für dein Feedback. Es freut mich besonders, wenn jemand, der in Paris wohnt meinen Eindruck, den ich ja nur innerhalb von wenigen Tagen gewonnen habe, bestätigt.
Sehr interessanter Artikel! Wie du es sagst, hat Paris auch einige unschöne Seiten, wie z.B die Slums oder einige Ecken der Vorstadt im Norden. Ich wohne in Paris und auch mitten im der Stadt (z.B. im 10. Arrondissement/Chateau Rouge/Chateau d’Eau, wo viele Asylbewerber und Migranten wohnen) sind die Lebenskonditionen teilweise menschenunwürdig. Viele Grüße, Roman